Samstag, 14. August 2010

Hertha und der Aufstieg

Nieder und Auf? Was für, was gegen den Aufstieg von Hertha BSC spricht

Ein Abstieg kann etwas heilsames sein, eine Art Neustart, ein
Systemreset. Empfunden wird das nie dergestalt, was kaum verwundern
kann, bedenkt man den enormen finanziellen Verlust, den das Ereignis
mit sich bringt. Lediglich in der Nachbetrachtung, einige Jahre
später, kann man vermeintliche oder tatsächliche Vorteile erkennen.
Präsidien werden ausgetauscht, Manager treten neu an, finanziell wird
Bilanz gezogen und neu geplant.

Bei Hertha scheint bis dato nichts von alledem der Fall zu sein. Die
Verantwortlichen sind identisch, finanziell hat man sich bereits so
gründlich neu sortiert, dass dieser Vorgang bis in die Zweite Liga
führte.

Wenig verwundern kann vor diesem Hintergrund, dass der Verein
offenkundig auch jetzt finanziellen Zwängen unterliegt, der Verkauf
von Kacar beweist es - Hertha hängt an einem Zinsfaden. Wie
strapazierfähig dieser ist, würde sich nur im Falle eines Nicht-
Aufstieges herausstellen.

Dennoch, spätestens seit sich immer mehr andeutet, dass Manager Preetz
wirklich nicht gewillt ist, Juwel Ramos für lächerliche Summen nach
Hoppenheim zur TSG zu verkaufen, zudem eine Abkehr von der nach
Westberliner Klüngel stinkenden Hinterzimmerpolitik der Westdeutschen
Geldverbrennungsmaschine anzustehen scheint, ist der finanzielle
Rahmen offenbar zumindest für den Moment gesichert und der
endgültige Kader steht fest. Daher kann man anhand dessen einen
Ausblick auf die Saison Wagen. Ein Vergleich zur Konkurrenz lohnt
hierfür kaum. Sieht man vom mausgrauen Bochum ab, mit Abstrichen auch
von 1860 und Augsburg, kann Hertha sich auf dem Platz nur selber
schlagen, zu groß ist der qualitative Abstand zu 90% der restlichen
Liga.

Die Mannschaftsteile:

Tor:

Aerts - wer so viele Jahre in der Ehrendivision spielt, muss
irgendetwas richtig machen und die Testspiele verneinten diese These
zumindest nicht. Ohne Frage: ein echter Drobny-Ersatz ist der
Holländer nicht. Die Frage lautet jedoch, ob man so einen überhaupt
braucht. Die Zweite Liga hat keinen Dzeko, keinen Kurayni, Kießling,
Müller oder Hleb. Was Hertha braucht, ist ein Mann mit Präsenz und
einer, im Gegensatz zu Drobny, zumindest nicht katastrophalen
Spieleröffnung. In Liga 2 wäre Drobnys "rettet mehr Punkte als seine
sinnlosen Abschläge kosten"-Quote kaum haltbar gewesen. Der Wechsel
ist, nicht nur finanziell, sinnvoll, die Qualität am Ende wird
abzuwarten sein.

Fazit: Aufstiegsfähig mit einem winzigen Fragezeichen.

Abwehr:

Mijatovic, der neue Kapitän, ist bisher weit von guter Form entfernt,
Hubnik immer wieder angeschlagen. Dennoch, mit dieser Abwehr kann es
kein Gegner der Liga aufnehmen. Sobald erst genannte eingespielt sind,
sogar nicht einmal im Ansatz, zu groß ist die spielerische Klasse,
aber auch die Erfahrung der vier Stammkräfte. Kobiashvili steht außer
Zweifel, Lell ist, im Gegensatz zu zahlreichen Unkenrufen der letzten
Zeit, ein solider Mann der Champions League gespielt hat und sich
zudem in den Testspielen gut gemacht hat. Zudem ist es positiv zu
bewerten, dass er seinen seelischen Ballast wirksam abbaut, noch bevor
das erste Spiel begonnen hat, genauso, wie das jüngste Eingreifen des
Vereins.

Fazit: Aufstiegs- und Erstligatauglich

Mittelfeld:

Die Unbekannte. Nicht deshalb, weil die neuen und alten Spieler weder
vom Namen noch vom Potential unbewertbar wären.

Viel mehr, weil es unabsehbar ist ob und in welcher Form das
Zusammenspiel mit der Spitze funktionieren wird. Fast ohne Ausnahme
sind Herthas Mittelfeldspieler gelernte Stürmer, die gerne selber Tore
schießen und denen mitunter das Auge für den Mitspieler fehlt,
Raffael und Ramos sind hierfür Paradebeispiele. Ein 4-2-3-1 lebt
davon, dass die zwei Sechser die Viererkette einerseits abschirmen,
andererseits Räume für weites eindringen der Außen (aller Außen) in
bzw. an den gegnerischen Strafraum öffnen. Letzteres wird auch
unbedingt nötig sein. Sowohl von Außen wie aus dem Zentrum tritt
Hertha mit tief und innig in den Ball verliebten Spielern an. Es ist
daher weder Zufall das die Sturmspitze so ausgewählt wurde wie es der
Fall war, noch, das mit Niemeyer, Dardai und Lustenberger drei
knochenharte Abräumer für die 6er Positionen zur Verfügung stehen.
Fraglos, dies befreit Trainer Babbel nicht von der Notwendigkeit,
mindestens einen dieser DMs zu wenigstens einem Teilzeit ZDM zu
machen, andernfalls fehlt die offensive Absicherung und die
Möglichkeit die Räume die zu erspielen sind voll zu nutzen. Hertha
hat keinen Schweinsteiger, dementsprechend wird es nicht zu erwarten
sein, dass eine qualitativ so große Akzentuierung des Vorwärtsspiels
eintritt, vor allem nicht zu Beginn, wo die Eingespieltheit fehlt.

Ob das Mittelfeld als Herzstück die Zweite Liga zur Verzweiflung
bringt hängt insgesamt betrachtet von drei Faktoren ab:

- gelingt es Raffael mit Disziplin, Siegeswille und seiner genialen
Technik seine Umgebung in Szene zu setzen, pro Spiel mindestens zwei
bis drei entscheidende Lücken in den gegnerischen Zement zu schlagen
- können sich die Außen, vor allem Ramos, darauf einstellen, sich
nicht im Dribbling zu verlieren und durch schnelle Pässe die Spitze
anzuspielen (denn außer Ronny wird, wieball die Jahre zuvor, kaum
jemand vernünftige Flanken und Standards anbieten können)
- reicht die Qualität im DM in Richtung Offensive auch ohne Kacar aus,
oder verlieren Defensive und Offensive den Kontakt? Dieser Bereich
muss funktionieren, sonst scheitert das ganze taktische System

Fazit: Qualität für Aufstieg und anschließende Bundesliga sind da,
jedoch ergeben die Einzelteile eines Porsche noch lange keinen
Sportwagen. Dickes Fragezeichen.

Sturm:

Rob Friend und vermeintliche (sowie gefühlte) 10 Ersatzspitzen. Leider
ist das jedoch Unfug. Außer Friend ist nur der gerade einmal 18 Jahre
alte Lasogga eine ernsthafte Alternative gemäß dem Spielsystem das
Babbel anstrebt.

Der Grund das Preetz bereit war soviel Geld für Friend auszugeben (der
teuerste Transfer der Liga) ist nicht, dass dieser vor wenigen Jahren
Schützenkönig der Liga war und Gladbach zum Aufstieg schoss.
Sicherlich sind das gute Argumente. Aber nein, der Grund ist, dass
Luca Toni und Miroslav Klose nicht zu haben waren, aber man dennoch
einen Tank haben wollte, der Kompromisslos in des Gegners Strafraum
aufräumt und ohne Schnörkel den Abschluss sucht.

Für diese Aufgaben ist Friend optimal. Aber wehe der Hertha, wenn er
sich verletzt.

Fazit: Oh Canada. Friend kann, muss aber nicht die Qualität für die
Bundesliga haben. Für Liga Zwei ist er indes perfekt. Wichniarek ist
weg und kein neuer wurde geholt. Dickes Ausrufezeichen.

Zusammenfassung:

Hier wäre nun die langweilige und ausgelutschte Plattitüde über die
Warnung vor der harten Zweiten Liga fällig.

Ich schenke sie mir. Entgegen anderer Vermutung spielen auch bei Aue
und Oberhausen menschliche Wesen, keine Kampfhunde.

Auch werden Aue und Oberhausen kaum tiefer stehen als Bochum und Mainz
in der vergangenen Rückrunde, die Schiedsrichter nicht unfähiger sein
als der des Heimspiels gegen die Schwarz-Gelbe Pest aus Dortmund.

Das es rau und hart zugeht mag sein. Es endlos zu betonen nervt auf
Dauer nur.

Spielerisch kann Hertha jeden Gegner der Liga schlagen und letzten
Endes wird es auch das spielerische sein, dass über den Aufstieg
entscheidet. Harter, zäher und stacheldrahtbewehrter Beton nützt
wenig gegen schnelles und ballsicheres Kombinationsspiel.

Es liegt bei Hertha selbst, die Möglichkeiten auszureizen. Wenn die
Mannschaft als Einheit agiert, zuspiele glücken und die vorher
genannten Faktoren eintreten, wird sie aufsteigen. Kehrt man gefrustet
aus den Kleinstadtstadien zurück, nimmt man den Stil der Liga an, wird
man scheitern, auch wenn die Gegner nicht mehr und nicht weniger sind,
als Fußballspieler, keine Furien.

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